Erinnerungsstätte an der Frankfurter Großmarkthalle
Realisierung des 2011 gewonnenen internationalen Wettbewerbes
Bauherr: Magistrat der Stadt Frankfurt - Kulturamt

Erläuterung des künstlerischen und architektonischen Konzepts

Wie stellt man einen Ort dar, dem man seine Geschichte nicht ansieht, auch weil sie in den Jahren seit dem Krieg sprichwörtlich im Alltag versank? Einen Ort, der lediglich aus Fragmenten besteht, von denen ein nicht unbedeutender Teil für die Öffentlichkeit nur begrenzt zugänglich sein würde? So lautete die Fragestellung, als wir uns im Jahr 2009 im Rahmen des internationalen Wettbewerbs mit der Aufgabe befassten, eine Erinnerungsstätte an der Frankfurter Großmarkthalle zu konzipieren, die sich den 10.000 von diesem Ort aus deportierten Juden aus Frankfurt und Umgebung widmet.

Der gefundene Ansatz basiert auf unserer Erkenntnis, dass der Ort selbst und die mit den Deportationen verbundenen Abläufe bereits den Kern der Erinnerungsstätte darstellen. Die Aufgabe sahen wir für uns also darin, diese Abläufe sichtbar zu machen.

In einem ersten Schritt ging es darum, die vorhandenen Fragmente, die noch aus der Zeit der Deportationen stammen, zu sichern und zu konservieren: Keller, Rampenraum auf dem Gelände der EZB, Stellwerk, Fußgängersteg und Gleisfragmente sollten saniert werden und – sofern baukonstruktiv möglich – samt aller Spuren, die den alltäglichen Charakter des Ortes dokumentieren, erhalten bleiben. Bei genauerer Betrachtung hatte sich dabei die ehemalige Zugangsrampe in die Kellerräume, die zu dem Zeitpunkt nur noch in Fragmenten erhalten war, für uns als entscheidendes Element herauskristallisiert.

Durch Hinzufügen eines neuen plastischen Elements wird die Spur der ehemaligen Rampe nach außen geführt. Als Markierung durchschneidet der so entstandene neue Rampenraum den Landschaftsraum des EZB-Geländes und wird zu einem verbindenden Element zwischen öffentlichem Raum und dem Keller der Großmarkthalle, der auf diese Weise in die „Erzählung“ des Erinnerungsortes eingebunden wird. Über eine neu entwickelte Wegeverbindung werden die konservierten Bauteile auf dem Gelände zueinander in Verbindung gesetzt.

Dadurch entsteht ein Gesamtgefüge, das die Logistik des organisierten Abtransports sichtbar macht. Es erstreckt sich von der Sonnemannstraße im Nordosten des Geländes der Europäischen Zentralbank entlang der neben dem Bahndamm gelegenen ehemaligen Holzmannstraße bis zur Mitarbeiterzufahrt der EZB im Südosten. Eine Zäsur im Gelände markiert den ehemaligen Zugang zu den Kellerräumen der Großmarkthalle: Ausgehend von dem Weg, über den die jüdischen Frauen, Männer und Kinder aus der Stadt zur Großmarkthalle getrieben wurden, entwickelt sich ein Baukörper, der die ehemalige Rampe zu den Kellerräumen der Großmarkthalle nachzeichnet und Teile davon integriert. Er vermittelt als Bindeglied zwischen dem öffentlichen und dem nur begrenzt zugänglichen Bereich der Erinnerungsstätte. Hohe Seitenwände lenken den Blick durch eine Glasscheibe in Richtung des Kellerraums, in dem die Menschen zusammengetrieben, endgültig enteignet und bis zu ihrem Abtransport festgehalten wurden.
Von der Rampe aus führt der Weg weiter zum Gleisfeld im Süden, wo er sich zu einer Platzfläche öffnet, auf der ein Stellwerk an den Abtransport erinnert.
Zu dem Ensemble gehört auch ein Fußgängersteg mit einem erhaltenen Treppenaufgang, der über das Gleisfeld führt. Ihn nutzten während der Deportationen Angehörige für den Abschied, aber auch Schaulustige zur Beobachtung des Geschehens.

Das 60 Meter lange Rampenbauwerk wird von zwei hohen Wänden begrenzt und ist im vorderen Bereich nach oben offen. Das hintere Drittel ist überdacht, wobei die Vorderkante des Daches die Position des ehemaligen Zugangstores zur ursprünglichen Rampe markiert. Auf Höhe der Grundstücksgrenze markiert eine Glasscheibe das Ende des öffentlichen Bereichs. Sie trägt ein Zitat des Schriftstellers und Journalisten Alfons Paquet, das dem Betrachter die Geschehnisse auf dem Weg in die Kellerräume näherbringt und sich mit dem Blick in das Gebäude überlagert.

Dieser gelenkte Blick ins Innere der plastischen Figur, die sich gleichsam in das Gelände der EZB gräbt, definiert mit seiner schlundartigen Perspektive jenen Raum, der den letzten Weg der Juden beschreibt, bevor ihnen in den Kellerräumen die bürgerliche Existenz gänzlich genommen wurde. In entgegengesetzter Richtung beschreibt er den Weg, der aus dem Keller zu den Gleisen und damit in den Tod führte.

Durch ein schlichtes stählernes Zugangstor am unteren Ende der Rampe erreicht der Besucher die „Bestandsräume“ und gelangt zunächst in den noch erhalten gebliebenen Teil der ursprünglichen Zugangsrampe; ein aus Ziegeln gemauerter Gang führt weiter hinab in den Keller, wo er sich zu einer Art Vorraum weitet und zugleich an Höhe gewinnt. Ehemalige Öffnungen und Durchgänge sind mit Beton verschlossen und tragen Zitate, die die damaligen Vorgänge in eindringlicher Weise schildern.
Über eine seitliche Zugangstür erreicht man schließlich den Kellerraum, der in einer Skizze des (einzigen) verurteilen Gestapobeamten Heinrich Baab als „Matratzenlager“ bezeichnet wird. Über eine kurze, schmale Rampe gelangt man in den etwa 400 qm großen Raum, in dem bis zu 1.000 Menschen nach den erniedrigenden behördlichen Prozeduren, die sie in den nicht mehr erhaltenen Teilen des Kellers über sich ergehen lassen mussten, zusammengepfercht auf ihren Abtransport warteten.
Wie der Rampenraum wurde auch dieser Raum behutsam in seinem letzten Zustand konserviert. Lediglich die beiden Zugangstüren wurden mit Beton verschlossen und mit weiteren Zitaten versehen, die von der Enge zeugen, der Brutalität und Willkür, die die Gestapo hat walten lassen.

Die Betonverschlüsse sind auch die einzigen gestalterischen Interventionen am Stellwerk, dessen halbrunde Kanzel – an die Tradition seines Erbauers Martin Elsaesser erinnernd in Richtung Großmarkthalle weisend – unter einer Bogenbrücke hervorragt. Sämtliche Fensteröffnungen sind verschlossen und machen das Gebäude – seiner Funktion endgültig enthoben – zu einem Volumen, das über die Materialität in Korrespondenz zum Rampengebäude tritt. Drei Flächen tragen Zitate, die den Ablauf der Deportationen beschreiben. Ein ebenfalls erhaltener Treppenaufgang führt zu einem Fußgängersteg über den Gleisen, der angesichts seines Zustands nicht zu halten war und denkmalgerecht in nachträglich stark aufgerautem Beton erneuert wurde. An der Innenseite der Brüstung weist ein Zitat auf seine Funktion während der Abtransporte hin. Angehörige nahmen hier Abschied, aber auch Schaulustige nutzten ihn, nicht zuletzt, um ihrem Hohn Ausdruck zu verleihen.
An diesem Gebäudeensemble mündet der von der Sonnemannstraße kommende Weg in eine größere Platzfläche, die das Stellwerk einbindet und sich unter der Bogenbrücke nach Osten öffnet. Das Gleisfeld war nur segmentweise erhalten und so wurden die an der Westseite liegenden Teile der früheren „Gleisharfe“ in den neuen Platz integriert und durch subtile, gefräste Spuren ergänzt, die an der östlichen Platzkante jäh enden.

Dass die Großmarkthalle immer ein alltäglicher Ort war, der nicht zum Zwecke des Verbrechens erdacht, sondern temporär dazu missbraucht wurde, zeigt sich an der „Unbefangenheit“ des Umgangs der Menschen mit dem Gebäude. Dies gilt sogar für die Zeit der Deportationen, denn während in den Kellerräumen die gewaltsamen Verschleppungen vorbereitet wurden, lief der Marktbetrieb unbehelligt weiter; und nachdem ein großer Deportationszug „abgefertigt“ war, wurde in denselben Kellerräumen wieder Gemüse gelagert. Dies gilt aber auch für die Zeit nach 1945, denn unmittelbar nach Kriegsende und dem Wiederaufbau des Gebäudes wurde der Ort als das weitergenutzt, wofür er ursprünglich gedacht war.

Diese prägenden Motive mögen künftig in der Wahrnehmung unserer Arbeit eine zentrale Rolle spielen. So beiläufig wie die Deportationen vonstatten gingen, so beiläufig wurde der Ort auch in der Nachkriegszeit wahrgenommen und so beiläufig soll die Erinnerungsstätte auch heute wahrgenommen werden. Sie soll bewusst ein Durchgangsraum bleiben, für Passanten ein ganz normaler Weg von der Stadt an den Main mit lediglich kleinen Interventionen, die sich dem Betrachter nicht aufdrängen.

Mit Unterstützung des Jüdischen Museums, das über eine umfangreiche Datenbank mit Biografien zu deportierten und ermordeten Juden aus Frankfurt verfügt, haben wir 26 Zitate ausgewählt, die den gesamten Ort überlagern, ja in gewisser Weise sogar „überschreiben“, und die Geschehnisse aus unterschiedlichsten Blickwinkeln wiedergeben. Seien es die Erinnerungen Überlebender, Schilderungen von Beobachtern, Auszüge aus Briefen Deportierter vor dem Abtransport oder aus den Vernichtungslagern – die Position des Zitats am Ort bezieht sich dabei räumlich stets spezifisch auf den jeweiligen Schritt im Prozedere: Die Aufforderung zur Ausreise, der demütigende Weg zur Großmarkthalle, die erniedrigende Abfertigung im Keller der Großmarkthalle, der menschenunwürdige Abtransport in überfüllten Zügen. Jede Station kann so über die Zitate nachvollzogen werden.

An verschiedenen auf die „Erzählung“ abgestimmten Stellen eingraviert, werden diese Erinnerungen eher beiläufig entdeckt, das Bild setzt sich erst nach und nach zusammen. Dabei ist es durchaus möglich, dass sich der Prozess des sukzessiven Entdeckens über einen längeren Zeitraum erstreckt.

Marcus Kaiser und Tobias Katz, November 2015

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