Wettbewerb Kunsthalle Darmstadt
Mehrfachbeauftragung ‚Vorplatz Kunsthalle und städtebauliches Umfeld‘, Darmstadt
2. Preis, 2017

Zeitschichten

Die Geschichte der städtebaulichen Situation der Kunsthalle und ihres Umfeldes ist für Darmstadt von zentraler Bedeutung. Im späten 18. Jahrhundert nach den Plänen Georg Mollers als Torsituation der westlichen Stadterweiterung angelegt, erhält das Ensemble durch den Bau der Kunsthalle von Herrmann Müller unter Einbindung der Portalsituation des nördlichen Wachthauses des Rheintors Ende des 19. Jahrhunderts eine wichtige kulturelle Bedeutung innerhalb der Stadt. Die von Peter Grund in den 1950er Jahren angelegte städtebauliche Situation zitiert die Planung Mollers; auch die Kunsthalle Theo Pabsts integriert den Portikus des Wachthauses, nachdem die kriegszerstörte Kunsthalle Müllers abgebrochen wird.

Als eines der wenigen Gebäude des internationalen Stils in Darmstadt, sieht Pabst sein Gebäude als Solitär im fließenden Raum. Der 1987 angelegte historisierende Staketenzaun am Vorplatz sowie die, nach dem zwischenzeitlichen Abbruch aus statischen Gründen, verkehrstechnisch bedingte neue Positionierung des Portikus schwächen das Konzept des fließenden Raums.
Gleichwohl soll der von Pabst gewählte historische Bezug zur ehemaligen Kunsthalle in Form einer abstrahierenden Interpretation einen Ersatz finden.

Ziel unserer Arbeit ist eine Wiederaufnahme der Pabst’schen Leitidee des fließenden Raums. Die stadträumliche Wirkung der oben beschriebenen Zeitschichten ist dabei ein zentraler Aspekt unserer Analyse. Folglich finden in unserem Vorschlag nur jene Zeitschichten gestalterische Berücksichtigung, die von Pabst vorgefunden wurden.

Städtebauliche Einbindung

Angestrebt ist eine Beruhigung der Gesamtsituation zur Stärkung der sensiblen Architektur des Gebäudes, das durch die stadträumlichen wie auch verkehrstechnischen Veränderungen in den 1970er Jahren, vor allem aber durch die Einfriedung und den an nicht authentischer Position verorteten Portikus, optisch sprichwörtlich in den Hintergrund gedrängt wird. Daraus resultiert als Lösungsansatz ein Abbruch dieser baulichen Elemente.

Die unbefriedigende Nutzung der Grünfläche im Norden sowie die unglückliche Anbindung der Wohnbebauung des Steubenplatzes an diese werden genauso berücksichtigt wie die südliche Situation des Rheintors am Haus des Gewerkschaftsbundes, die über gestalterische Eingriffe wieder mit der Nordseite verknüpft werden soll.

Die Ausgestaltung der Flächen sowie Einzelmaßnahmen (Verkehrsberuhigung, gastronomische Angebote, Brunnenanlage) soll dem, einer massiven Verkehrsbelastung ausgesetzten, Areal Aufenthaltsqualität verleihen und zugleich Anreize für weitere Angebote schaffen.

Gestaltungskonzept

Flächen
Das Gesamtareal – bestehend aus dem Vorplatz der Kunsthalle, dem westlich und östlich gelegenen Verkehrsraum, der Grünfläche im Norden sowie der Platzfläche im Süden – wird von uns zunächst als eine Fläche verstanden. Beläge gleicher Farbe, aber unterschiedlicher Formate, dienen dabei der Differenzierung (Leitlinien) und Zonierung des fließenden Raums. Großformatige, auf das Raster der Kunsthalle bezogene Betonwerksteinplatten (60 x 120 cm) definieren deren Vorplatz und säumen das Gebäude, um im nördlichen Bereich in eine wassergebundene Decke überzugehen, die eine Verschränkung zum nunmehr verkehrsberuhigten (und ausschließlich für Anwohner von der Bleichstraße aus befahrbaren) Straßenraum zur östlichen Wohnbebauung hin herstellt. Im Norden grenzt eine Grünfläche an die wassergebundene Decke. Der Straßenraum sowie die das Gelände umgebenden Rad- und Gehwege sind mit kleinformatigen Betonwerksteinen belegt.

Die Südseite des ehemaligen Rheintors nimmt diese Beläge auf. In der Neuordnung der Fläche vor dem Haus des Gewerkschaftsbunds greifen wir die Zonierung der 1950er Jahre wieder auf, während die an die östliche Bebauung angrenzende Straße samt Platzfläche verkehrsberuhigt und in die Gesamtfläche einbezogen wird.
Zeitschichten
Der Portikus kann aufgrund seiner nicht authentischen Positionierung aus dem Jahr 1987 ebensowenig gehalten werden wie der Staketenzaun. Beide Elemente schotten den Raum zur Kunsthalle hin ab und konterkarieren das Konzept des fließenden Raums. Die erhaltenen Säulen des Wachthauses könnten dem Stadtmuseum übergeben werden und so eine Verknüpfung zur Stadtgeschichte herstellen.

Der in der Architektur Theo Pabsts verankerte Bezug zum Zugangsportal der alten Kunsthalle, der sich in der Lage des Gebäudeeingangs in der Achse des Portals manifestiert, wird durch einen reliefartigen Abdruck der alten Kunsthalle in unsere Konzeption aufgenommen.

Die Zeitschichten sind als Zitate zur Anregung der Auseinandersetzung mit den historischen Bezügen in die Flächen integriert und dienen überdies als Brückenschlag über die Rheinstraße.
So ist auf dem Vorplatz der Kunsthalle der Abdruck der alten Kunsthalle Müllers in Form einer graduell dunkleren, flügelgeglätteten Ortbetonfläche im Boden ablesbar. Über eine Fuge und einen Besenstrich der Oberfläche zeichnet sich in dieser Fläche das ehemalige nördliche Wachthaus des Rheintors ab. Dessen südliches Pendant findet sich ebenfalls als Bodenabdruck in der Fläche vor dem Gewerkschaftshaus.

Die Fläche nördlich der Kunsthalle soll sowohl durch die Kunsthalle als auch durch die Anwohner als aktiv erlebbarer Freiraum genutzt werden. Im Zentrum der Fläche zitiert eine Brunnenanlage in abstrakter Form die Gartenplanung von 1900. In ihrer flächenartigen Ausprägung in Ortbeton ist sie ebenfalls als Bodenabdruck einer Zeitschicht zu verstehen.

Licht
Auf dem Vorplatz der Kunsthalle sowie auf den Platzflächen vor dem nördlichen und dem südlichen Kopfbau der östlich angrenzenden Wohnbebauung werden drei Mastleuchten mit großformatigen, ringförmigen Lichtelementen aufgestellt, die eine optische Verknüpfung zwischen nördlicher und südlicher Platzsituation herstellen.

Freiraumqualitäten
Die Fläche vor der Kunsthalle wird bewusst nicht durch weitere bauliche oder gestalterische Elemente belegt. Der so gewonnene Raum legt die architektonischen Qualitäten der Kunsthalle wieder frei und macht sie im Stadtraum erfahrbar. Von der Dominanz des ehemaligen Portikus-Zitats befreit, kann der Platz für temporäre Interaktionen oder Installationen genutzt werden. Die Krähenskulptur von Arie von Selm, die bislang vor der Kunsthalle steht, könnte auf der neben dem südlichen Kopfbau entstehenden Platzfläche neue Heimat finden und den Brückenschlag von der Südseite zur Kunsthalle untermauern.

Der Höhenunterschied im Bereich vor der Kunsthalle wird nicht mehr über Stufen, sondern über eine Neigung der gesamten Fläche überbrückt. Die beiden schützenswerten Bäume südöstlich vor dem Gebäude werden durch ein Hochbeet mit Sitzfläche abgefangen. Mehrere Bäume des gesamten Areals sind von Bänken gesäumt und bieten so Aufenthaltsqualität.

Im Erdgeschoss des Kopfbaus der östlich angrenzenden Wohnbebauung des Steubenplatzes ist ein Café mit Außennutzung geplant, das dem Gesamtareal neue Anziehungskraft verleiht und auch die Funktion der Museumsgastronomie übernehmen kann.

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